irgendwo...zwischen Moskau und Voronezh
Und wieder Schlafwagen und wieder zähneknirschende
Diskrepanz zwischen Körperlänge und Liegefläche. Alle schlafen, nur eine Band
verhandelt noch mit Bauchladenfrauen um lächerliches Kleingeld. Ihre Stimme ist
grell und aufgeregt und verursacht Gänsehaut bei denen, die um Schlaf bitten. Noch
ungefähr sechs Stunden bis Voronezh und mir fällt auf, dass niemand auch nur
den Hauch einer greifbaren Ahnung hat wann wir wo genau zu seien haben. Odyssee
im Schädel eines riesigen Landes, keine Geographie, nur unaussprechliche
Dörfer, die im Dunkel russischer Nächte vorbeiziehen. Noch sechs Stunden und
das Hoffen auf ein wenig Schlaf…
Voronezh
Ca. 9.00 Uhr – ein Bahnhof und keine Zeit zum Überlegen. Raus,
solange Züge noch stehen. Und noch während Visionen von Lebensenden im
kontinentfernen Nichts Form fassen können, erscheinen aus ebendiesem helfende
Hände, Gepäck und Instrumente greifend und Sekunden später stehen wir auf
schneebedeckten Bahnsteigen. Wir sind da. Voronezh – globusferne, imaginäre
Heimat eines Plattenlabels und aus Namen werden Gesichter und aus Ungewissheit
Vorfreude…
Einen Augenblick später...Eine Wohnung, extra für uns
angemietet und sie bietet alles, was Opfern der Zivilisation Freude bereitet. Betten,
Duschen und Toiletten und während Vitaly und der Rest unserer Gastgeber in der
Küche Frühstück für uns zubereiten, fällt auf wie angenehm leises Ausatmen sein
kann. Unten spazieren Menschen mit Hunden, kehren Heim oder stürzen sich in den
Tag und hinter Türen klappern Töpfe und Geschirr – und für einen kurzen Moment
beschleicht einen das Gefühl beruhigender Normalität. Einen sehr kurzen…
Es mag jetzt vielleicht 10.00 morgens sein und vor uns auf
dem Tisch stehen drei Flaschen Vodka. Da das Frühstück noch etwas dauert,
werden die eigentlichen Begrüßungen halt etwas vorgezogen. Alternativ Bier oder
Kaffee (und ich schwöre, dass jene Art Kaffee hierzulande unter das
Betäubungsmittelgesetz fallen würde!) Man hält uns freudig erwartend Gläser
entgegen und noch ehe man mitteleuropäisch reagieren kann schallt das erste
„Nastrovje“ durch den Raum. Was folgt sind intensive Kommunikation und ein gedeckter
Tisch, der auch ohne die letzte Nacht Erwartungen übertreffen würde. Man ist
neugierig. Die deutsche Szene, das russische Pendant, die Schwierigkeiten hier
ein Label zu führen, die Bemühungen woanders eins zu finden. Grenzenübergreifende
WG-Atmosphäre und weitere Sequels aus der langen Reihe globaler Prosits. Die
ersten steigen aus und kämpfen gegen Getränke und die anderen haben das Gefühl
langsam anzukommen.
später...an den Ufern der Voronezh [51°40'N 39°11'E]
Sightseeing…orthodoxe Kulturinjektion und vertraute Fremde
beidseitig eines Flusses. Es ist angenehm entspannend…fast schon infantil
übermütig. Schneeballschlachten und Getränke für unterwegs, russische
Liebesritualerklärungen und Ikonen als Präsente für Daheim. Irgendwie ist der
Stress der vergangenen Tage kristallin vergessen und ein klein wenig auch der
Grund unseres Hierseins. Konzerte? Wer weiß…im Moment füllt polare Luft unsere
Lungen und zwischen Altären für unbekannte Heilige und dem Pantheon der Lichtschalter
beginnen wir ein Stück weit mental Staatsbürgerschaften zu ändern…oder
zumindest in Frage zu stellen.
Ein Plattenladen mitten im Zentrum. Keiner dieser
Entertainmentlindwürmer, sondern Räume voll gefühlter Passion und musikalischer
Nischen. Welch eigenartiges Gefühl an Orten fernab geographischer
Einzugsbereiche ins eigene Gesicht auf Plakaten zu blicken und welch
eigenartiges Gefühl in fremden Ländern auf fremde Menschen zu stoßen, die mit
der eigenen Unterschrift glücklich zu machen sind! Paradox und schmeichelnd.
Und es wird unterschrieben, was Platz für Buchstaben bietet. Poster, CD´s,
Photos… dezente Befremdlichkeit, die Kalender ablenkt. Und so langsam kehrt
Erinnerung und Zweck unseres Besuchs zurück und mit ihm individuell
distinguierte Vorfreude auf den heutigen Abend. Also zurück in die Wohnung zur
Fortsetzung einer schier unendlichen Nahrungsaufnahme (Frage: Was ist alles in
Russischem Salat? Antwort: Alles…), Geburtstagszelebrationen, Nastrovje auf
Befehl und raus aus Häuten und Fellen ins Heute und Gewollte...
Später…Club City I Voronezh
Während Cold Design und Spiders Upstairs großartige Konzerte
spielen und den Lokalpatriotismus am Kochen halten, nimmt die Anzahl des
Publikums langsam atemraubende Dimensionen ein. Wortwörtlich. Verstopfte Gänge
und belagerte Tresen und zwischen schüchternden Bitten um Erinnerungsphotos,
Geschenken (Werde ich jemals die Zeit finden Burroughs auf Russisch zu lesen?)
und Autogrammen auf alles, was konservierbar ist, beschleicht einen langsam das
Gefühl, das dieses Konzert hier und Heute etwas ganz besonderes wird. So weit
weg und jeder kennt deinen Namen, fast schon andere Kontinente und jeder kennt
dein Gesicht. Und größer als die freudige Erwartung um einen herum, wird
langsam die Nervosität in einem drinnen. Das Finale, das sich unverschämt
selbst inszeniert, ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht auf den Fakt,
dass wir nach ihm gehen müssen…
noch später...
Es ist eng hier. Zwei Brennpunkte und beide im regen
Austausch – die Bühne und die Bar. Der City Club ist nicht unbedingt das größte
Haus, aber heut Abend foltert es sein Volumen. Zigaretten und tuschelnde
Gesichter, Kaffee zum Runterkommen und babylonische Spätfolgen. Was will er mir
sagen? Das er mir ausgerechnet „Junkie“ von William Seward ausgesucht hat, gibt
mir ein wenig zu denken, aber…für Kyrillisch bin ich meilenweit zu nüchtern! Irgendwo
im Trubel sind vereinzelt vertraute Gesichter auszumachen und Vitaly ist
nervös. Die weibliche Hälfte der Spiders klingt irgendwie angenehm nach
Siouxsie und Vitaly ist nervös. Sieh dich um, Bruder im Geiste, wir sind's, die
nervös sein sollten! Händeschütteln und immer wieder Blitzlicht, leichtes
Lächeln ob Umarmungen und immer wieder versteckte Blicke zur Uhr. Noch 20
Minuten bis zum letzten der Phantome...
Irgendwann Mitternacht…
Finale. Von draußen klingen noch Choräle befremdlich
vertrauter Bandnamen und drinnen ist alles still. Wir müssen uns nicht ansehen,
um zu wissen was jeder einzelne jetzt gerade denkt. Drängelnde und tanzende
Menschen, Hände reckend und Texte mitsingend und dies an einem Ort, von dem bis
vor kurzen niemand von uns eine geographische Ahnung hatte. Es ist ein Ausatmen
und es ist Stolz, es ist unglaublich angenehm und es ist wohltuend warm. Ich
glaube heute und hier hätten wir ewig spielen können. Für jedes lächelnde
Augenpaar, für jeden lautstark begrüßten Song. Wenn es in „Ewigheim“ heißt:
„There is no place for strangers…“, dann hab ich mich heut fast ein wenig
geschämt für diese Zeile. Der Chor wird lauter und ich denke es wird Zeit für
eine Zugabe und da die Ovationen beim Erscheinen von Dirk und Christian auf der
Bühne mir Recht zu geben scheinen, ist es angebracht Fortunae dafür zu danken,
dass Backkataloge so herrlich plünderbar sind. So komm, „Nova“, man ruft nach uns…
Nun wirklich…Der letzte Ton verklingt und im
sitzgruppenlosen Backstage werden erschöpft Erinnerungen konserviert und
Selbstwerte definiert und ich hab keine Ahnung, was diesen Moment fragiler und
unwirklicher scheinen lässt: die Tatsache, dass wir wissen wieder abreisen zu
müssen, oder der Umstand dafür genau 15 Minuten Zeit zu haben! Irgendwo lässt
ein Bus gerade seinen Motor an und in ihm sind sieben freie Plätze, auf denen
unsere Namen stehen. 15 Minuten, um den Zauber zu ohrfeigen, 15 Minuten um
Inventar zu archivieren und sichtbar abreisefertig durch die verwirrten
Gesichter in novemberkalte Nächte zu stürzen. 15 Minuten, um des einen oder
anderen Visionen von rauschenden Festen tiefzukühlen. Was folgt sind weibliche
Belagerungen vor Herrentoiletten und Autogramme im Akkord, leichte Panik beim
Betrachten der Gepäckgebirge und letzte Getränke im Gehen. Wem gehört dieses
Kabel?...und der Motor läuft…War dies Eric´s Gitarre?...und der Motor
läuft…Gibt es denn keinen späteren Bus?...Nein, nur diesen einen laufenden
Motor noch. Nun denn Vitaly, und all ihr ins Herz Geschlossenen, Busfahrer
blicken angesäuert auf die Uhr und die anderen Fahrgäste scharren mit den
Füßen. Letzte Umarmungen und wehmütig bestätigte Gewissheit nun wirklich gehen
zu müssen. Bye, bye Voronezh, nun nie mehr Weiß auf Landkarten…
Fußnote: Ein paar Tage später schrieb mir Vitaly übrigens,
dass sich auf dem Gebiet, auf dem der heutige City Club steht, ursprünglich ein
riesiger Friedhof befand, der im Zuge historischer Stadtentwicklung umgelagert
wurde, nach offiziellen Quellen zumindest. Ob das stimmt und inwieweit dies
Auswirkungen auf den Abend hatte, lasse ich hier mal unbeantwortet in kalter,
südrussischer Luft vorbeiziehen…
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somewhere...between
Moscow and Voronezh...
And
sleepers again and again a teeth-grinding difference between body length and
lying area. Everybody is sleeping, but only one band is carrying on
negotiations with a hawker´s tray woman. It´s about some piffling cash and the
sound of her voice is lurid and excited and it´s causing creeps with those, who
are begging for some sleep. About six hours still to Voronezh and I realize,
that no one of us has any idea where exactly we will be tomorrow! An odyssey in
the skull of a huge country, no geography, only unpronounceable villages,
passing by in the darkness of Russian Nights. About six hours and the hope for
some sleep…
Voronezh
About
9:am...a station and no time to think about. Lets´s get out as long as the
train is stopping. And still before visions of twilight years, spent in a
continents away void, are able to assume a form, hands are appearing right out
of the nowhere, reaching for luggage and instruments and just a few seconds
later we´re standing on a platform, discreetly covered with snow. We are there.
Voronezh – imaginary, distant end of the rainbow, home of a record label. And
names become faces and uncertainty makes way for an anticipation...
One second
later…a flat, hired especially for us and it offers all those things, which are
able to delight victims of civilisation. Beds, showers, toilets and meanwhile
Vitaly and the rest of our hosts are preparing breakfast in the kitchen, I
notice how comfortable it can feel to exhale quietly. Down there, some people
are taking dogs for walkies, coming home or diving head first into the day and
behind some doors I hear the rattling of pots and plates – and for a short
moment I feel something like a calming normality. For a very short moment…
I guess it´s
10:am and there are three bottles of vodka standing in the middle of the table.
For the fact, that the breakfast will be delayed a little while, the essential
welcoming will be brought forward a moment. Alternatives are beer and coffee
(and I swear, this kind of coffee would come under the narcotics regulation in
this part of the world!) With pleasant anticipation you´re holding glasses out
towards us and before you can react in a mid-european way the first „
Nastrovje” is resounding through the room. This is followed by intensive
communication and a bountiful table, that would exceed all expectations even
without the last night. There´s some curiosity shimmering in the air. The
German scene, the Russian counterpart, the difficulties to run a lable here,
the difficulties to find one there. A trans-bordering flat share-atmosphere and
further sequels in a series of global cheers. The first ones are finking out
and fighting against vodka and the others slowly get the feeling to find home.
Later...on
the banks of the Voronezh [51°40'N 39°11'E]
Sightseeing...an
orthodox culture injection and familiar strangeness on both sides of a river. It´s
cushy and it´s relaxing, it´s cosy and it´s pleasing…almost an infantil
cockiness. Snowball fights and drinks to go, insights into Russian rituals and
icons for the beloved ones at home. Somehow it seems, that the stress of the
past days is forgotten in a crystalline way and for a little moment the reason
for our presence here too. Concerts? Who knows…right now there´s polar air
filling our lungs and between altars for unknown saints and the pantheon of
light switches we start to change our citizenship for a little bit…or to call
it into question at least…
A record
store in the middle of the town. Not these kind of an entertainment-wyvern, but
rooms full of noticeable passion and musical niches. What a strange feeling to
look in your own face on posters, far away from geographical catchment areas
and what a strange feeling to meet strange people in strange countries, which
are easily to make happy with just an autograph of you! Paradoxical and
coaxing. And we´re signing everything, that offers space for letters…placards,
CD´s, photographs…a gentle strangeness, that distracts almanacs. And slowly
there´s a memory and a purpose creeping back in our minds and with them an
individually distinguished anticipation regarding to today´s eve. So, back in
the flat for continuing an apparently endless ingestion (Question: What
ingredients you can find in a so-called “Russian salad”? Answer: Every…) and
Celebration of birthdays. Nastrovje at command and out of skins and furs for
diving into todays and the wanted things…
Later…Club
City I Voronezh
Meanwhile
Cold Design and Spiders Upstairs are making great shows and the local
patriotism is heating up the air, the audience´s quantity takes on vertiginous
dimensions. Word for word. Congested corridors and besieged bars and between
timid requests for memorable photographs, presents (Will I ever spare some time
to read Burroughs in Russian?) and autographs upon all what´s conservable,
there´s a feeling creeping up on me, that this eve will become a very special
one. So bloody far away and the people know your name, almost different
continets and the people know your face. And bigger than the joyous expectation
around, the excitement is getting inside. The final, that insolently directs
itself with the gloves off, regardless of the fact, that we have to leave after
it…
much later
...
It´s tight
here. Two spotlights and both in an active exchange – the stage and the bar. The
City Club is´nt the biggest venue necessarily, but tonight it rapes it´s
capacity. Cigarettes and whispering faces, coffee for calming down and
Babylonian late sequelae. What is he wanting to tell me? The fact that he has
coosen William Seward´s “Junkie” as a present for me, should make me wonder,
but…I´m too much as sober as a judge for cyrillic script! Somewhere in the hubbub
of faces I can detect a few familiar ones and Vitaly is nervous. The female
side of the Spiders sounds complacently like Siouxsie and Vitaly is nervous. Look
around, brother in mind, we are the ones, who have to be nervous! Shaking hands
and flash lights, gentle smilings caused by embraces and hidden glances at the
clock. Twenty minutes left til to the last of the phantoms…
anytime…Midnight...
Final. From
outside I can still hear the chorals of strange, but versant bandnames and
inside all is quiet. We don´t have to look at each other in order to know what
the single one is thinking. Scrambling and dancing people, stretching hands and
singing along and all this on a place, no one of us had the slightest
geographical notion of until lately! It´s an expiration and it´s pride, it´s
bloody delightful and it´s soothingly warm. Every smiling pair of eyes, every
noisily hailed song. If there is this line in the song “Ewigheim”: “…there is
no place for strangers…”, then I´m feeling a bit ashamed for those words now. The
choir´s becoming louder and I think it´s time for an encore. The fact, that the
reappearing of Christian and Dirk on stage is causing ovations, makes me sent
out my thanks to Fortunae for the fertility of our body of work. So come on
Nova, they´re calling for us…
Later...the
last note is fading away and in the backstage area (outlandishly davenportless)
some memories get preserved and some self-esteems become newly defined and I
have no idea what is making this moment more fragile and unreal: the fact, that
we know about our leaving or the circumstance, that we have about fifteen
minutes for this! Somewhere a bus is starting it´s engine and inside there are
seven seats, marked by our names. Fifteen minutes to box the spell´s ear,
fifteen minutes to file the whole inventory and to stumble through confused
faces out in cold november nights, visibly ready to leave. Fifteen minutes to
freeze some visions of jamborees. Anger is followed by female sieges to men´s
lavatories, piece-signings, panic in realizing the mountains of luggage and
last drinks in a hurry. Whose cable is this?…the engine is running…Is this
Eric´s guitar?…and the engine is running…Is there any goddamned bus later?…No,
only this one and it´s engine is running…Well, all right Vitaly and all you
fellows, taken to our hearts…bus-drivers are angrily consulting a watch and the
other passengers are shuffling with their feet. Last embraces and the weepy
affirmed certainty, that we have to leave now. Bye, bye Voronezh, no more a
blank spot on the map by now…
Side note:
A few days after arriving at home again, Vitaly wrote me about the fact, that
the area, the club is located today, was a giant cemetery decades ago, that was
removed in the course of historical urban planning. (according to public
sources at least!) If this is right and if this had any effects I want to leave
without reply, rolling by in cold, southern Russian air…)
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